Entdeckungsreise vor der Haustür
Vilsbiburg. Die Schönheit und die Vielfalt der Natur vor der eigenen Haustüre stand im Mittelpunkt, als am Sonntag die Bayern-Tour- Natur in den Vilsauen halt machte: Beim dritten Naturerlebnisnachmittag informierten sich Kinder wie Erwachsene über die besonderen Wildkräuter, die Vögel und die anderen Tiere entlang der Vils sowie am Färberanger. Bei sonnigem Wetter nahmen viele Vilsbiburger das Angebot der lokalen Agenda 21 an, einige Besucher kamen sogar von weit her.
„Innerhalb von nur einer Generation hat sich das Freizeitverhalten von jungen Menschen radikal verändert“, sagt Robert Beringer, der für die Stadt die Naturerfahrungspfade am Rettenbach und entlang des renaturierten Vilskanals entwickelt hat: „Mittlerweile verbringen Kinder 95 Prozent ihrer Freizeit in Kunstwelten – zuhause (gern vor Bildschirmgeräten), im Auto oder auch in Kaufhäusern oder vielleicht noch in Sporthallen.“ Nur noch wenige seien in den Wiesen und Wäldern vor der Haustür unterwegs: „Früher war das selbstverständlich, heute werden die Gefahren dort stärker betont.“ Zudem gebe es heute diese wilden Plätze, an denen man früher ungestört spielen konnte, nicht mehr. „Die Kinder haben heute eine völlig andere Kindheit.“ Sogar der ungeplante Treff am Spielplatz sei heute nicht mehr möglich.
Dabei sei die Natur ein ungeheuer reichhaltiger und schöner Ort, um einzigartige Erfahrungen zu machen. Diesen habe man freiwillig aufgegeben, und dies zu einer Zeit, in der auch die Arten schwinden: „Wo findet man heute noch einen Frosch?“ sagt Beringer, der sogar eine wachsende Entfremdung zwischen Kindern und der Natur feststellt: „Man kann sich vorstellen, wo das hinführt.“
Der Naturerlebnistag versteht sich gewissermaßen als Gegengift, als Möglichkeit, die Natur zu Hause so zu entdecken, wie man sonst bei Führungen Bauwerke und Städte kennenlernt. „Man läuft täglich achtlos daran vorbei, aber wenn man einmal genauer hinschaut, vielleicht sogar mit einer kleinen Lupe, dann entdeckt man erst die Schönheit zum Beispiel einer blühenden Brennnessel.
Zwar könnte man sich in Büchern oder in verschiedenen Medien umfassend über die heimischen Pflanzen und Tiere informieren, sagte der Vogel- und Biberexperte Rudi Tändler, „aber offenbar ist das, was man vor der Haustüre findet, einfach zu weit weg“. Die Naturpädagogen betätigten sich am Sonntag als Reiseführer in diese Welt und erzählten daraus derart spannende Geschichten, dass einige Besucher gleich mehrere Touren mitgemacht hätten. Etwa davon, dass Grashalme so stabil und flexibel sind, dass sie von keinem menschlichen Bauwerk übertroffen werden.
Viele wollten zunächst mehr über den praktischen Nutzen von Wildund Heilkräutern erfahren, aber im Lauf der Führung hätte sich das Interesse stärker auf die Zusammenhänge zwischen dem Schwinden des Artenreichtums und dem eigenen Konsumverhalten verlagert. „Wir haben dann zwar auch über Heilkräuter gesprochen, aber ich hatte den Eindruck, das andere Thema war stärker“, sagte Fleischmann.
Nachdem die Stadtgärtner verstärkt darauf achten, dass sich die Wildpflanzen auf öffentlichen Flächen gut entwickeln können, gab es auch reichlich Anschauungsmaterial. Man entdeckte den Glatthafer, den Vorläufer der heutigen Getreidesorte, was Tändler zu der Bemerkung veranlasste: „Das Thema Natur ist so weit weg gerückt, die Zusammenhänge werden nicht mehr gesehen“. Kaum jemand denke darüber nach, woher die Lebensmittel im Supermarkt kommen. Auch dass es durchaus Gründe gebe, warum sich starke Regenfälle zu bedrohlichen Hochwassern auswachsen, erschließe sich nicht mehr jedem.
Dieses alte Wissen wird an solchen Tagen wieder nach oben geholt: „Man merkt an der Aufmerksamkeit der Kinder, dass sie diese Geschichten interessant finden.“